Immer noch kein Land in Sicht

Immer noch kein Land in Sicht
Malik
München 2012
ISBN 389029409X

Immer noch kein Land in Sicht: Tollkühne Helden auf See

Das ist das (bislang) verblüffendste meiner Bücher – verblüffend für mich, denn ich habe nicht die geringste Ahnung vom Meer, von Schiffen oder der Seefahrt, ich begreife nicht, warum jemand den Wunsch haben könnte, sich der Pein extremer körperlicher Belastung auszusetzen. Und doch habe ich genau darüber ein 250-Seiten Buch geschrieben.

Es begann mit einem längeren Text für Zeitschrift mare. Er handelt von dem Norweger Ole Brude, der 1904 mit drei weiteren Seeleuten den Atlantik überquert hatte. Ihr Gefährt war ein fünfeinhalb Meter langes, rundum geschlossenes Boot – ein Metall-Ei. Das Boot hatte weder Motor noch Paddel, nur ein kleines Segelchen. Darin trieben – man muss wohl eher sagen: torkelten die vier Männer im Winter über den stürmischen Ozean. Fünf Monate brauchten sie, dass sie ankamen, war ein Wunder. Genau dieses Wunder hatte Brude mit dieser Reise bezweckt: Er wollte ein revolutionär neues Rettungsboot bauen und das war ihm gelungen.

Mein norwegischer Großvater hatte mir die Geschichte erzählt, als ich Kind war. Ich kannte den Nachbau des Bootes, der in der Hafenstadt Ålesund zu bewundern ist, ich kannte den Mann (er heißt Ole M. Ellefsen), der das gründlichste Buch über Brude, seine Erfindung und seine Reise geschrieben hat. Kurz, ich wusste alles, was ich brauchte, um den Artikel für mare zu schreiben – aber natürlich sah ich rasch noch einmal bei Google nach. Dort fand ich Einiges (und viel Falsches!) zu Brude, vor allem aber fand ich ihn zusammen mit anderen ungewöhnlichen, verrückten, absurden Seefahrer-Abenteurern erwähnt. Ich klickte hier an und dort an, ich las mich fest. Und verliebte mich in diese maritimen Wahnsinnigen.

Erst las ich im Netz weiter, bald schon bestellte ich Berge von antiquarischen Büchern, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den USA, England und Australien. Ich schwelgte in Geschichten, von denen ich ganze Passagen gar nicht verstand – Sätze wie »Ich ließ den Vorholer des Baums ausrauschen. So konnte die von der Plicht bis zum Schothorn des Segels führende Schot unter dem Kiel durchgehen« sind mir bis heute ein völliges Rätsel.

Es wurden zehn Kapitel mit erheblich mehr als zehn Geschichten. Sie handeln von dem Mann, der in einem Serien-Faltboot über den Atlantik segelte, und seinem Konkurrenten, der die gleiche Strecke ohne Frischwasser und Proviant in einem Gummiboot absolvierte – überraschenderweise kamen beide (mehr oder weniger) lebend in der Karibik an. Sie erzählen von einem Amerikaner und einem Engländer, die ausprobierten, wie klein ein Boot sein kann, in dem ein erwachsener Mensch einen Ozean überqueren kann – der Rekord steht aktuell bei 1,625 Meter. Es geht um den Mann, der ein Amphibienfahrzeug über Meere und Landstraßen steuerte und bis heute der einzige ist, der in ein- und demselben Fahrzeug die Welt umrundet hat. Es gibt einen Russen, der am Kaspischen Meer lebte und sich ein Leben lang nach der Welt sehnte, die er nicht sehen durfte. Er war fast sechzig, als sich 1992 die Grenzen der UdSSR öffneten und Reisen möglich wurde. Er ergriff die erste Chance, die sich ihm bot und brach mit einem erbettelten Segelboot und einer Barschaft von einhundert Dollar zu einer Weltumseglung auf.

Von der erste Idee bis zur Abgabe des Manuskriptes vergingen genau zwölf Monate. Es war ein wunderbares Jahr mit wagemutigen, faszinierenden Männern – die ich bis heute nicht verstehe.

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