Zwei rechts, zwei links


Suhrkamp
Berlin 2017
ISBN 9783518468142

Zwei rechts, zwei links. Geschichten vom Stricken

Ich war zehn oder elf Jahre alt, als ich stricken lernte, das erste größere Stück – zumindest das, an das ich mich erinnere – war ein hellblauer Rollkragenpullover aus recht dicker Wolle, so etwas hieß damals Skipullover. Meine Mutter strickte den Gleichen in Senfgelb für sich. Wenn wir zusammen spazieren gingen, wusste ich vor Stolz kaum wohin mit mir.

Das Stricken und ich, wir sind wie Schulfreundinnen, die sich nie ganz aus dem Blick verloren haben. Hin und wieder gab es Pausen, die Jahre dauern konnten, aber wir fanden immer wieder zusammen. Und in all den Jahren habe ich erlebt, mit welch milder Abschätzigkeit unsere Gesellschaft auf das Handstricken und in der Konsequenz auch auf Strickerinnen blickt. Immer liegt das Wort Weiberkram in der Luft, und das ist, wie wir alle wissen, per se schon abwertend. Dahinter steht, wie bei Vorurteilen üblich, Ahnungslosigkeit. Etwa ein halbes Jahrhundert habe ich mir das angehört, bis ich es wirklich und endlich und sehr gründlich leid war. So begann dieses Buch, das die Geschichte des Strickens und Facetten des Handwerks erzählen und damit auch eine Ehrenrettung des Strickens werden sollte.

Die Kapitel drehen sich um die Anfänge des Strickens – über die wir nichts Gesichertes wissen, auch wenn es gute Gründe für die Annahme gibt, dass sie im östlichen Mittelmeerraum liegen. Die ältesten Funde sind aus Baumwolle und Seide und so kunstfertig, dass ihnen ein sehr langer Prozess des Lernens und Ausprobierens vorangegangen sein muss. Weiter geht es mit den Handstricker-Gilden, die es seit dem 13. Jahrhundert gab und denen nur Männer angehören durften, es geht um Armutsstricken, also das Stricken meist derber Gebrauchsgegenstände, was Familien und ganzen Landstrichen ein Einkommen sicherte und manchmal sogar vor dem Verhungern rettete. Und es geht um das – wie ich es nenne – Salonstricken im späten 18. und im 19. Jahrhundert, als die Frauen des gehobenen Bürgertums ebenso unfassbar komplizierte wie nutzlose Dinge herstellten, weil ihnen der Zugang zu sinnvollen Betätigungen außer Haus verwehrt war. Es geht um die namenslosen Menschen, sicher meist Frauen, die den Zwang, für die Familie und den Verkauf eine schier endlose Flut von Gestricktem herstellen zu müssen, dennoch zu einem Feuerwerk an Kreativität nutzten, indem sie sich für relativ kurzlebige Kleidungsstücke immer neue und immer kompliziertere Muster ausdachten – so entstanden die Stricktraditionen rund um den Nordatlantik und in den baltischen Ländern.

Es geht um das Handwerk, das mit zwei Nadeln und einem (sehr) langen Faden einerseits rasch zu erlernen und unaufwendig auszuführen ist, andererseits extreme schwierig und anspruchsvoll sein kann – egal, wie gut man es beherrscht, es gibt immer noch etwas zu lernen. Es geht um die Herstellung von Wolle und das Färben, den steinigen Weg zu einem passenden Pullover, um Designerinnen und wechselnde Strickmoden, um die (nicht nur geographischen) Wege, auf denen Strickmotive aus einer Tradition in eine andere wanderten und noch heute wandern. Natürlich kommen strickende Männer vor. Ein langes Endkapitel widmet sich der Revolution, die das Internet auch für uns Strickerinnen bedeutet. Der Suhrkamp Verlag hat daraus ein sehr schönes, liebevoll gestaltetes Buch gemacht, zu dem ich einige Fotos meines Strickerinnenalltags beigesteuert habe.

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